Eine Geschichte über eine unbequeme Reise und die Komfortzone.
Inhaltswarnung
- Menschenmassen
- Psychische Gesundheit
- Autismus-Spektrum
Die Kurzgeschichte
Sie schaute aus dem Zugfenster und wünschte sich, sie wäre draußen, obwohl es in Strömen regnete und eiskalt aussah. Im Interplanetenzug, in ihrem Waggon, in ihrem Sitzabteil, war die Luft heiß wie im Hochsommer und fühlte sich an, als wäre sie frei von jeglichem Sauerstoff. Es ist schon irgendwie komisch, dass man im Sommer nur Kälte will und im Winter nicht erwarten kann, dass es wieder wärmer wird. Sie versuchte, kleine, flache Atemzüge zu machen, um nicht zu viel von dem, was der Zug als “komfortable Klimaanlage - 365 Tage im Jahr” bezeichnete, in sich aufzunehmen. Und dann der Lärm. Es war so laut, dass sie Mühe hatte, ihre eigenen Gedanken zu verstehen und ihnen zu folgen, ganz zu schweigen von den Gesprächen, die um sie herum stattfanden. Sie hätte ihre geräuschunterdrückende audiovisuelle Ausrüstung mitnehmen und sich mit Brille und Kopfhörern mental an einen anderen Ort versetzen sollen. An einen Ort, an dem es nichts außer ihr und viel Platz gab. Ihr Lieblingsszenario war tatsächlich Raumfahrt, eine der weniger beliebten, da dies seit ein paar Jahrzehnten wirklich möglich war. Nur sie, schwebend durch das punktgesprenkelte dunkle Universum. Keine anderen Reisenden, keine Geräusche, keine Unannehmlichkeiten.
Stattdessen hatte sie das Haus, in dem sie geboren worden war, frühmorgens in aller Eile verlassen und ihre eilig gepackte Tasche vom Vorabend, eine sehr braune, nicht mehr genießbare Banane und ihren Wollschal mitgenommen. Der bei dieser Hitze eindeutig nutzlos war. Sie war frustriert. Müde und verärgert. Sie hatte viel für dieses Ticket bezahlt, weil sie es super kurzfristig gekauft hatte. Sie hatte sich erst gestern Abend dazu entschlossen und nicht wirklich Zeit gehabt, alles zu arrangieren oder richtig durchzudenken. Nimm einfach einen Zug und komm zurück, hatte ihre Mitbewohnerin gestern gesagt. Morgen. Du brauchst nicht dort zu bleiben. Und jetzt bekommt sie keine vernünftige Klimaanlage, weil sie es nicht schafft, ein paar Tage mit der Familie zu verbringen, denkt sie und lacht innerlich. Lacht sie mit oder über sich selbst?
Interaktionen waren schon immer schwierig für sie gewesen, vor allem, als sie jünger war. Keine wirklichen Langzeitfreunde, alle waren irgendwann weg. Draußen flog die Raumlandschaft vorbei, alles war verschwommen, sie konnte sich nicht auf bestimmte Orientierungspunkte konzentrieren. Wenn sie nichts gegen diese Unschärfe unternahm und einfach nur zuschaute, fühlte es sich sogar gut an. Einem sich ständig verändernden Fluß von Farben und Formen, Punkten, Sternen, Planeten, Asteroiden zuzusehen, die mit 24 Millionen km/h vorbeiflogen. Durch den starken Temperaturunterschied zwischen dem Inneren und Äußeren des Zuges waren Tropfen auf der Scheibe. Die Tropfen blieben an der Scheibe haften und bildeten kleine diagonale Flüsse von einer Seite des Fensters zur anderen. Als Kind war sie immer von diesen Flüssen fasziniert gewesen und hatte sich vorgestellt, dass die Tropfen alle zusammen ein Rennen laufen würden. Sie fand sie heute genau so faszinierend. Die wenigen Tropfen, die den Tropfenfluss gefunden hatten, waren viel schneller als die anderen und strömten mit vereinten Kräften in einem konstanten Flüssigkeitsstrom von einer Seite des Fensters zur anderen. Die wenigen Einzeltropfen, die sich nicht in diesen Fluss einfügten, blieben zurück. Mach mit, was die Masse macht, dachte sie und musste wieder lachen, weil es so ironisch war. Es schien, als sei sie eine von Hunderten von Menschen, die beschlossen hatten, dass sie den frühen IPT nehmen mussten. Aber sie hätte nicht einen Tag, nein, nicht einmal eine Stunde länger bleiben können. Sie mochte ihre Familie und ihre Geschwister mit all ihren Ehepartner:innen, Kindern und Haustieren sehr. Aber in diesen sozialen Situationen fühlte sie sich unheimlich unbehaglich. Sie war gerne dabei, wollte aber gleichzeitig sehr weit weg sein.
Nächstes Mal wird es besser sein, sagte sie sich, obwohl sie wusste, dass es eine Lüge war. Sie ließ sich tiefer in ihren Sitz sinken, ohne die silbrigen Tropfen aus den Augen zu verlieren, die mit Hilfe des Fahrtwindes gegeneinander rannten. Plötzlich fühlte sie sich wie einer der zurückgelassenen Tropfen, die nicht Teil des großen, unaufhörlichen Tropfenflusses waren, der schneller und besser zusammen dahin fließt. Einer von denen, die nicht mit den anderen mithalten konnten. Jemand hinter ihr begann ein lautes Telefonat und ein Kind fing an zu schreien. Sie schloss die Augen. Nächstes Mal werde ich bleiben.
Diese Geschichte wurde aus dem Englischen von Helena Hartmann mithilfe von DeepL übersetzt.
Die Studie
Massaccesi, C., Groessing, A., Rosenberger, L. A., Hartmann, H., Candini, M., Di Pellegrino, G., … & Silani, G. (2021). Neural correlates of interpersonal space permeability and flexibility in autism spectrum disorder. Cerebral Cortex, 31(6), 2968-2979. https://doi.org/10.1093/cercor/bhaa404
Die Verbindung zwischen Geschichte und Studie
In der Studie wurde untersucht, wie Menschen mit und ohne Autismus den zwischenmenschlichen Raum (d. h. die körperliche Nähe oder Komfortzone zu anderen Menschen) im Gehirn verarbeiten. Sie zeigte, dass die 20 autistischen Erwachsenen, die an der Studie teilnahmen, einen größeren persönlichen Raum bevorzugten und sich in unmittelbarer Nähe zu einer anderen Person unwohler fühlten. Darüber hinaus waren die für die Verarbeitung dieser Raumwahrnehmung zuständigen Hirnregionen aktiver als bei 20 nicht-autistischen Erwachsenen. Die Autor:innen vermuten, dass dies mit den Schwierigkeiten bei der sozialen Interaktion zusammenhängen könnte, die viele Autist:innen haben. Die Kurzgeschichte versucht zu zeigen, wie unangenehm das Eindringen in unsere persönliche Komfotzone auch für Menschen sein kann, die nicht dem Autismus-Spektrum angehören. Stelle dir vor, wie viel schlimmer das für Autist:innen sein könnte, die in solchen Situationen oft mit einer immensen Reizüberflutung zu kämpfen haben und gleichzeitig vielleicht bleiben und Teil der Gruppe sein wollen. Die Geschichte soll das Bewusstsein dafür schärfen, sensibel mit allen Menschen umzugehen, wenn es um Komfortzonen und soziale Interaktionen geht.
Wie sieht es bei dir aus? Wie groß ist deine eigene persönliche Komfortzone oder die der Menschen in deiner Umgebung?
Die Autorin
Helena hat Science and Fiction entwickelt und schreibt viele der Geschichten selber. In ihrer aktuellen Forschung als aktive Wissenschaftlerin beschäftigt sie sich mit den verhaltensbezogenen und neuronalen Grundlagen von Schmerz, Schmerzmodulation und Behandlungserwartungen anhand von Placebo- und Noceboeffekten. Ihr Doktorat absolvierte sie an der Social, Cognitive, and Affective Neuroscience Unit am Institut für Psychologie der Kognition, Emotion und Methoden der Universität Wien, wo sie Empathie und prosoziales Verhalten im Bereich Schmerz untersuchte.