
Beeinflusst unsere Stimmung unser Spielverhalten?
Inhaltswarnungen
- Psychische Gesundheit
- Anhedonie
- Depression
Die Kurzgeschichte
Gleich! ruft Anna ihrem Freund durch die geschlossene Badezimmertür zu und fragt sich sofort, ob das eh nicht zu genervt klang. Die letzten Wochen waren stressig gewesen und sie hatten öfter gestritten als sonst, meistens wegen Missverständnissen ausgelöst durch Kleinigkeiten, wie vermeintlich gereizte Stimmlagen oder genervte Blicke. Keine Ahnung, wie es so weit kommen konnte und wie wir da wieder rauskommen, denkt sie und atmet tief durch. Eigentlich ist ja nichts, es ist nichts vorgefallen zwischen ihnen. Überhaupt ist nicht viel passiert in letzter Zeit, aber halt auch nicht viel Gutes. Fühlt sie sich deswegen so leer? Den Gedanken, dass die Luft zwischen ihr und Phillip vielleicht einfach raus ist, schiebt sie beiseite und beginnt Mascara aufzutragen. Sie weiß, dass Phillip schon wartet und sie spät dran sind für ihre Verabredung. Und sie merkt selbst, wie langsam sie sich fertig macht, wie fahrig ihre Bewegungen sind, aber schneller geht es einfach nicht. Wenn sie sich versucht zu beeilen, wird sie nur hektisch, sticht sich mit den Maskaraborsten ins Auge oder lässt etwas fallen. Außerdem weiß sie gar nicht, woher sie die Energie nehmen soll, um sich zu beeilen. Irgendwie fühlt sich Anna in letzter Zeit so träge, dabei schläft sie eh genug, zu viel fast. Aber egal wie viel sie schläft, sie ist morgens müde und kommt auch im Laufe des Tages nicht richtig in die Gänge. Aber genau das soll der heutige Abend ja ändern. Ein Spieleabend mit Freunden, wenn sie das nicht aus ihrem Trott holt. Sie fährt sich noch einmal durch die Haare und lächelt ihrem Spiegelbild zu, dann geht sie durch die Tür.
Während sie zu Max und Sophie spazieren, fragt sie Phillip nach seinem Tag. Er erzählt von einem Meeting, in dem er seine Kollegen erfolgreich von seiner Idee überzeugen konnte und sie sagt, toll. Anna merkt, wie sie mit den Gedanken abschweift, aber nicht mal wirklich sagen kann, wohin. Die Dämmerung taucht die Straße in ein dunkles Blaugrau, wäscht die Farbe des Tages langsam weg. Es ist schon ein bisschen kalt und Anna verschränkt die Arme vor dem Körper. Sie schaut in den Himmel, auf dem graue Wolken kleben. Hätte sie doch die dickere Jacke nehmen sollen, einen Schirm vielleicht? Als es zwei Schritte lang still ist, merkt Anna erst, dass sie nicht weiß, was er gerade gesagt hat, nicht wirklich zumindest. Aber es ist eh immer das Gleiche und im Grunde ist er ja zufrieden, er hat es ja auch gut in der Arbeit. Als er zurück fragt, sagt Anna, naja wie immer, die Arbeit fühlt sich so sinnlos an und ich kann mich kaum konzentrieren. Ich war heute wieder so müde, aber ich hab auch schlecht geschlafen. Phillip fragt, was sie mittags gegessen hat und was es wohl bei Max geben wird, und Anna ärgert sich, dass er nicht darauf eingeht, was sie erzählt hat. Sie sagt Brot und keine Ahnung und den Rest des Weges gehen sie schweigend nebeneinander her.
Anna hat den üblichen Smalltalk hinter sich gebracht. Schön, dass ihr da seid, Wetter, Arbeit, Wochenende, welche Musik wollt ihr hören? Nachdem sie Essen bestellt haben, entscheiden sie sich schon eine Runde zu spielen, bis es geliefert wird. Sie sitzt nun auf einem Holzstuhl, vor ihr der Tisch. Sie sitzt nur da und hört zu, fühlt sich aber irgendwie unruhig. Sophie hat vor sich die Spielanleitung auseinandergefaltet hingelegt und ihr Blick ist konzentriert auf das Papier mit den systematischen Knicken gerichtet. Stockend liest sie die Regeln ab, die besonders wichtig sind oder sie vergessen haben könnten. Dabei haben natürlich eh alle schon öfter Monopoly gespielt und wissen wie es geht. Anna starrt währenddessen auf den kleinen Mann mit Hut auf der Spielverpackung und die übertriebene Begeisterung in seinem Cartoon-Gesicht irritiert sie. Dann teilt Max aus und vor ihnen sammeln sich Geldstapel, Häuser und Karten, das Spiel startet.
Die Würfel rollen über den Tisch und die anderen lachen und scherzen, während virtuelles Geld ausgetauscht wird. Anna spielt mit, zieht die Figur weiter und die Mundwinkel nach oben, aber findet das Ganze heute irgendwie vor allem lächerlich. Wie sich alle so reinsteigern, groß reden von Hauskauf und Hotelbau und sich verhalten, als wäre das Spielgeld nicht einfach nur bedrucktes Papier. Als ginge es um etwas. Anna ist das alles vollkommen egal, ob der Geldstapel vor ihr schrumpft oder wächst, ob sie am Ende gewinnt oder verliert. Was für einen Einfluss hat das schon auf ihr Leben? Sie ist an der Reihe und würfelt, bewegt ihre Figur. Eins, zwei, drei, vier, fünf. Wo sie landet, könnte sie eine Straße kaufen, das wäre wohl hilfreich, würde sie im Spiel weiterbringen und ist gar nicht mal so teuer. Sie starrt für einen Moment auf die Karte, aber versteht nicht ganz, was da steht oder denkt vielleicht gar nicht so richtig darüber nach. Phillip nickt ihr zu und sie zuckt mit den Schultern. Ja, warum nicht, sagt sie und Sophie zählt das Geld von dem Stapel ab, den sie ihr hinhält. Auch beim nächsten Mal könnte sie investieren, doch diesmal lehnt sie ab, gibt die Würfel weiter. Bald wachsen die Türme rund um das Spielbrett an, doch Annas Geldstapel steht weiterhin mehr oder weniger gleich hoch vor ihr, wie eine kleine schützende Mauer. Irgendwann landet sie im Gefängnis, doch sich da langsam wieder rauszuwürfeln stört sie gar nicht. Es ist ruhiger, ihre Aufgabe ist klar und es sind weniger Entscheidungen zu treffen.
Nachdem die erste Runde vorbei ist und Sophie jubelt und die Männer Revanche einfordern, essen sie, plaudern, trinken und spielen dann noch eine Runde. Die Stimmung ist locker, aber Anna beteiligt sich kaum. Sie findet alle Themen uninteressant, so oberflächlich. Es geht um Wochenendtrips und gemeinsame Freunde, auf welches Konzert sie gerne gehen wollen und dass sie sich ein neues Sofa gekauft haben. Draußen hat es mittlerweile begonnen zu regnen und das Fallen der Tropfen auf das Fensterglas mischt sich gleichmäßig mit dem Geräusch der Würfel auf dem Tisch und der Musik im Hintergrund.
Diese Geschichte wurde im Original auf Deutsch geschrieben.
Die Studie
Huys, Q. J., Pizzagalli, D. A., Bogdan, R., & Dayan, P. (2013). Mapping anhedonia onto reinforcement learning: a behavioural meta-analysis. Biology of Mood & Anxiety Disorders, 3(1), 12. https://doi.org/10.1186/2045-5380-3-12
Die Verbindung zwischen Geschichte und Studie
Mehrere Studien konnten zeigen, dass Personen mit depressiven Symptomen, insbesondere Anhedonie, sich in psychologischen Aufgaben und Spielen anders verhalten als Vergleichsgruppen. Insbesondere gibt es Unterschiede darin, wie depressive Personen auf Gewinnen und Verlieren in Spielkontexten reagieren und sich dabei fühlen. Das könnte auf eine Dysfunktion des Dopaminsystems in einer Untergruppe von depressiven Patient:innen hindeuten, da dieses in der Belohnungsverarbeitung eine wichtige Rolle spielt. Diese Ergebnisse könnten dazu beitragen, die Mechanismen hinter depressiven Symptomen besser zu verstehen und neue Wege finden, Symptome auf objektive Weise zu messen und zu beobachten.
Die Autorin
Laura Bäuerl ist Doktorandin in der SCAN-Unit an der Universität Wien und untersucht mithilfe von Computermodellen, (gamifizierten) Verhaltensaufgaben und funktioneller Magnetresonanztomograpgie (fMRT) transdiagnostisch die zugrunde liegenden Mechanismen depressiver Symptome. Dabei liegt ein Schwerpunkt auf der Erforschung der möglichen Rolle von Sexualhormonen bei der überproportionalen Prävalenz von affektiven Störungen bei Frauen. Laura hat einen Hintergrund in Linguistik, Kognitionswissenschaft und Künstlicher Intelligenz, und eine Leidenschaft für Literatur, Fotografie und Reisen.