Ein Bild mit dem Titel der Geschichte "Umarmungen lügen nicht" und dem Namen des Autoren "Julian Packheiser". Das Bild enthält auch das Logo von Science & Fiction und eine Grafik eines sich umamrmenden Pärchens.

Die Seitenpräferenz beim Umarmen zeigt dir, was du fühlst.

Inhaltswarnungen

Keine

Die Kurzgeschichte

Elias war nervös. In den letzten Wochen hatte er täglich mit seiner neuen Kollegin Claire gesprochen, und je mehr sie sich unterhielten, desto näher fühlte er sich ihr. Sie hatten nicht nur einen ähnlichen, fast kindlichen Humor, sondern stimmten auch in ihren Wertvorstellungen überein, und es hatte bei ihrem ersten Treffen einfach gefunkt. Er hatte versucht, beiläufig etwas über ihren Beziehungsstatus herauszufinden, indem er sich über geplante Wochenendaktivitäten unterhielt, und sie erwähnte nie etwas von einem Freund. Schließlich erzählte sie sogar, dass sie seit einigen Monaten Single war, was ihn noch aufgeregter machte, da er sich ihr emotional so nahe fühlte.

Seine Schüchternheit war jedoch ein Problem. Er traute sich nicht, sie nach einem Date zu fragen, konnte den Gedanken nicht ertragen, dass sie ihn zurückweisen und die Situation im Büro unangenehm machen würde. Er wartete auf ein klares Zeichen ihrer gegenseitigen Zuneigung, um sie zu fragen. Doch im Laufe der Wochen blieb alles beim Alten. Sie verbrachten viel Zeit zusammen im Büro, unterhielten sich und aßen zusammen zu Mittag, und er begann sich zu fragen, worauf er eigentlich wartete. Wenn er eine Chance haben wollte, musste er den Sprung ins kalte Wasser wagen. Das war jedoch leichter gesagt als getan, denn seine Knie wurden schwach und seine Arme schwer, sobald er endlich einen Schritt machen wollte. Also beschloss er, es nach der Weihnachtsfeier zu versuchen, da er wahrscheinlich durch ein paar Bier und die Freude an der Weihnachtsstimmung ein wenig lockerer sein würde.

Und dann kam die Party und ging vorbei. Es war ein schöner Abend, sie veranstalteten ein Quiz und eine Wichtelrunde, bei der er einen hässlichen Weihnachtspulli bekam, den er jetzt trug. Sie sangen auch Karaoke, und er hatte zusammen mit Claire „Winter Wonderland“ gesungen. Es war wirklich ein Riesenspaß. Aber sein Mut verließ ihn, als Claire sagte, dass sie nach Hause gehen würde. Er war so entschlossen, sie endlich nach einem Date zu fragen, doch die Worte blieben ihm im Hals stecken. Sie begann, sich von allen zu verabschieden und umarmte einen nach dem anderen die anderen Mitarbeitenden. Er beobachtete sie genau und versuchte immer noch, den Mut aufzubringen, sie endlich zu fragen. Dann kam sie zu ihm, der letzten Person, von der sie sich verabschiedete. Sie lächelte breit und öffnete ihre Arme, um ihn fest zu umarmen. Es fühlte sich so gut an, ihre körperliche Nähe zu spüren. Und dann ließ sie ihn los. Seine Enttäuschung war sofort da, er konnte immer noch nichts anderes sagen als: „Gute Nacht, komm gut nach Hause!“.

Als Claire den Raum verließ, fiel ihm jedoch etwas auf. Irgendetwas war anders. Er hatte sie so genau beobachtet, als sie die anderen zum Abschied umarmte, und es war immer das gleiche Muster. Den rechten Arm über die Schulter und den Kopf auf die linke Seite gelegt. Aber als sie zu ihm kam, bot sie ihm den linken Arm an und legte ihren Kopf nach rechts. Und plötzlich erinnerte er sich an eine einprägsame Schlagzeile, die er vor Jahren auf der Titelseite eines populärwissenschaftlichen Magazins gelesen hatte. „Die Seitenpräferenz bei einer Umarmung bestimmt, wie man sich fühlt“, erinnerte er sich. Damals, als er das las, hatte er es nicht geglaubt. Eine weitere überspitzte und übertriebene Click-Bait-Behauptung der Medien wie „Wein trinken ist genauso gesund wie ins Fitnessstudio zu gehen“ oder ‚Die Art und Weise, wie Sie schlafen, verrät, wie lange Ihre Beziehung halten wird‘. Aber was, wenn da doch etwas dran war?

Und plötzlich spürte er, wie sich sein Mut aufbaute. Er stand auf und verließ den Raum, um zu versuchen, sie einzuholen, bevor sie das Gebäude verließ und all sein innerer Impuls verpuffte. Er rannte den Korridor hinunter, in Richtung der Aufzüge. Als er um die Ecke bog, stieß er fast mit ihr zusammen, da sie immer noch vor den Aufzügen wartete. Sie schaute ihn verwirrt an: „Stimmt etwas nicht? Wozu die Eile?“ Er war bereits leicht außer Atem. „Entschuldige, ich wollte dich nur etwas fragen, bevor du gehst.“ Der Aufzug war angekommen, aber ihr Blick war jetzt ganz auf ihn gerichtet. Er zögerte, aber es hieß jetzt oder nie: „Ich … ich wollte dich fragen, ob du … na ja, mit mir ausgehen willst?“. Ihr leicht verwirrtes Gesicht errötete ein wenig, nachdem er endlich die Frage gestellt hatte, die er schon so oft stellen wollte. „Nun, wie wäre es, wenn wir jetzt etwas trinken gehen?“, fragte sie mit einem Lächeln.

Diese Geschichte wurde aus dem Englischen von Helena Hartmann mithilfe von DeepL übersetzt.

Die Studie

Packheiser, J., Rook, N., Dursun, Z., Mesenhöller, J., Wenglorz, A., Güntürkün, O., & Ocklenburg, S. (2019). Embracing your emotions: Affective state impacts lateralisation of human embraces. Psychological Research, 83, 26-36. https://doi.org/10.1007/s00426-018-0985-8

Packheiser, J., Schmitz, J., Metzen, D., Reinke, P., Radtke, F., Friedrich, P., … & Ocklenburg, S. (2020). Asymmetries in social touch—motor and emotional biases on lateral preferences in embracing, cradling and kissing. Laterality, 25(3), 325-348. https://doi.org/10.1080/1357650X.2019.1690496

Die Verbindung zwischen Geschichte und Studie

Inspiriert wurde diese Geschichte durch eine Publikation über die Lateralisierung des menschlichen Umarmens, die von Forscher:innen der Ruhr-Universität Bochum durchgeführt wurde. Lateralität beschreibt die Seitenpräferenz von Dingen, am bekanntesten im Fall der menschlichen Händigkeit, da die meisten Menschen eine Präferenz für die rechte Hand zeigen, wenn sie manuelle Aufgaben wie Schreiben oder Zähneputzen ausführen.

In den beiden Veröffentlichungen wurde untersucht, ob es auch beim Umarmen von Menschen Seitenvorlieben gibt, indem Feldbeobachtungen von Menschen in natürlicher Umgebung mit Laborexperimenten kombiniert wurden, bei denen Teilnehmende Schaufensterpuppen umarmten. Beide Forschungsansätze ergaben identische Ergebnisse, nämlich dass Menschen es im Allgemeinen vorziehen, ihren rechten Arm über die linke Schulter ihres/ihrer Umarmungspartner:in zu legen und ihren Kopf auf die rechte Schulter des/der Partner:in zu legen. In hochemotionalen Situationen ändert sich diese Präferenz jedoch. Auf Flughäfen untersuchten die Forschenden speziell Umarmungen bei der Ankunft und Abreise, bei denen es sich normalerweise um herzliche Verabschiedungen und Wiedersehen handelt, und verglichen sie mit eher neutralen Umarmungen von Menschen auf der Straße. Im Labor hörten die Teilnehmenden vor ihrer Umarmung hoch emotionale oder neutrale Kurzgeschichten, und die Forschenden zeichneten auch die Seitenpräferenzen auf. Die Ergebnisse waren in hohem Maße über die verschiedenen Bedingungen hinweg konsistent, da die emotionalen Umarmungen aus der Reihe tanzten. Die Personen hoben ihren linken Arm häufiger über die rechte Schulter ihres/ihrer Partner:in und legten ihren Kopf auf dessen linke Schulter. Diese Ergebnisse wurden in einer anderen Studie bestätigt, was ihre Robustheit verdeutlicht.

Wenn du also das nächste Mal jemanden umarmst, achte darauf, auf welcher Seite die andere Person es tut. Vielleicht lernst du die Gefühle der anderen Person etwas besser kennen!

Der Autor

Julian Packheiser ist Postdoc an der Ruhr-Universität Bochum und erforscht die Mechanismen und gesundheitlichen Auswirkungen von affektiven Berührungen mit besonderem Interesse an den Kontextfaktoren im Rahmen taktiler Interaktionen.

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