Ein müder Polizist versucht einen Tag voller Unfälle zu überstehen.
Inhaltswarnung
Autounfall
Die Kurzgeschichte
“Wir haben einen Verkehrsunfall mit zwei Beteiligten an der Ausfahrt A24 zum Sigmund Jähn Weltraumhafen”, knisterte die Stimme des Disponenten durch das Funkgerät von Oliver Schmidts Polizeiwagen.
“Auf dem Weg”, antwortete Oliver, als sein Partner Alexander Riest mit einem Becher Kaffee in jeder Hand aus der Tankstelle kam.
Der Weltraumhafen wurde vor einem halben Jahr eröffnet. Seitdem hatte er den Handel zwischen Erde und Mars belebt. Der Personenverkehr zwischen den beiden Planeten hatte sich verzehnfacht. Massen von Touristen überschwemmten den Hafen für ihren allerersten Besuch der anderen Seite und überforderten die Hafenbehörden monatelang mit dem Ansturm. Schlimmer noch: Aus irgendeinem Grund bestanden die Touristen beider Seiten darauf, ihre Autos und Rover mitzunehmen, anstatt öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Und das wurde schnell zu Olivers Problem. Viele Marsianer unterschätzten den Unterschied in der Schwerkraft und wurden in ihren Rover-Autos erdkrank. Das war an einem normalen Tag ein Verkehrsrisiko, aber in dieser Nacht waren die Uhren auf Sommerzeit umgestellt worden. Kombiniert man die müden Einheimischen mit einer Gruppe Besucher, denen schwindelig ist, hat man das Rezept für ein Desaster!
“Los geeeehts!” trillerte Alexander, als er um das Polizeiauto herumging und die Tür zum dem Beifahrersitz öffnete.
“Ich weiß nicht, wie du die ganze Zeit so gutglaunt sein kannst”, sagte Oliver, während er sich auf den Fahrersitz fallen ließ. “Wenn wir ankommen, erwartet uns nichts Gutes.”
“Natürlich nicht”, erwiderte Alexander mit einem Grinsen. “Aber wenn du dich von dieser düsteren Einstellung leiten lässt, wirst du bald zu ausgebrannt sein, um diesen Job für immer zu machen.”
Alter, manchmal hasste er diesen Kerl! Mit einem Grunzen fuhr Oliver das Polizeiauto vom Parkplatz der Tankstelle herunter. Es ergab keinen Sinn, mit ihm zu streiten, wenn er als Antwort nur als Miesepeter abgestempelt werden würde. Während er den Wagen mit einer Hand lenkte, nahm Oliver den Becher Kaffee entgegen, den Alexander ihm reichte. Er nahm einen langen Schluck. Es war seine dritte Tasse an diesem Morgen. Er hatte heute Nacht nicht genug Schlaf bekommen.
“Wollen wir wetten?”, sagte er zu Alexander.
“Autounfall nach Sekundenschlaf.”
“Ich würde sagen, ein Marsianer wird am Steuer krank und verliert die Kontrolle über seinen Rover. Worauf wetten wir dieses Mal?”
“Verlierer kauft die nächsten fünf Runden Franzbrötchen.”
“Abgemacht.”
Damit kamen sie an der Unfallstelle an. Ein rustikaler Marsrover war in die Leitplanke gekracht, nachdem er von einem extravaganten Anderson-Fahrzeug gerammt worden war. Beide Insassen waren außerhalb des Wagens und lebten. Eine verängstigte junge Marsianerin hielt eine Hand an ihre blutende Stirn, während ein reich aussehender Einheimischer sie aus Leibeskräften anschrie. Sein Gesicht war rot vor Wut. Ein weiteres Polizeiauto fuhr in die Einfahrt zum Raumhafen. Oliver nickte den Kolleg:innen kurz zu, während Alexander einen Krankenwagen rief. Alexander ging auf die beiden Passagiere zu und stellte sich vor.
“Guten Morgen”, sagte er mit einem Lächeln. “Möchten Sie mir erzählen, was passiert ist?”
Die Frau versuchte zu sprechen, aber der Mann unterbrach sie sofort: “Diese Schlampe hat mein neues Auto ruiniert!”
Während er ihr weitere Obszönitäten entgegenschrie, flog seine Spucke überall durch die Gegend. Oliver beschloss, die weinende Frau zur Seite zu nehmen. Er untersuchte die Verletzung an ihrer Stirn. Die Wunde würde genäht werden müssen.
“Wie heißen Sie?”, fragte Oliver, während er ihre Platzwunde versorgte.
“Monica Chavez.”
“Monica, ich habe einen Krankenwagen für Sie gerufen”, sagte Oliver und zeigte auf ihre Stirn. “Sie werden im Nu Hilfe bekommen. Fühlen Sie sich ein wenig schwindelig?”
“Nein, aber mein Kopf tut weh”, sagte sie schluchzend. “Ich weiß nicht, wie das passiert ist!”
“Holen Sie tief Luft und versuchen Sie sich zu erinnern”, sagte Oliver, während der selbst tief durchatmete. Er sah nicht gerne Menschen weinen. Diese Scheiße zerrte an seinem rostigen Herzen wie nichts anderes. Aber er konnte Alexander nicht die Genugtuung geben, das zu sehen. Aus dem Hintergrund ertönten weitere Rufe.
“Ich bin hier, um eine Freundin zu besuchen. Ich war auf dem Weg zum Hafen, um nach Hause zu fahren, und als ich in die Einfahrt einbog, spürte ich plötzlich einen Ruck von hinten. Das Nächste, woran ich mich erinnere, ist, dass ich in der Leitplanke stecke. Ich weiß wirklich nicht, wie das passiert ist!”
Verdammt, dachte Oliver. Der andere Kerl ist wahrscheinlich am Steuer eingeschlafen. Diese Naschkatze wird mich dazu bringen, eine Bäckerei voller Franzbrötchen zu kaufen, wenn das hier vorbei ist.
Im Hintergrund war ein Schrei zu hören: “Ich werde sie verklagen! Ich werde sie verklagen!”
“Oh mein Gott”, sagte sie entsetzt. “Ich habe gerade erst meinen Studienkredit abbezahlt!”
Doch bevor Oliver darauf antworten konnte, hörte er ein lautes “Hey!”. Der reiche Mann versuchte, Alexander eine Faust ins Gesicht zu schlagen. Alexander war schnell genug, um auszuweichen. Der Mann nutzte die Gelegenheit und stürmte auf die Frau zu. Oliver stellte sich vor sie und streckte seinen Arm aus, um den Mann aufzuhalten.
“Lassen Sie mich durch!”, forderte der Mann.
“Keinen Schritt weiter, mein Freundchen”, sagte Oliver. Er konnte sehen, wie Alexander und die beiden Kolleg:innen aus dem anderen Polizeiauto zu Hilfe eilten. Schnell waren dem Mann Handschellen angelegt und er wurde in das andere Polizeiauto buchsiert. Der Krankenwagen kam um die Ecke gedüst.
“Lassen Sie mich los!”, forderte er. “Verstehen Sie eigentlich, wer ich bin?”
Olivers Kollegin knallte die Tür des Polizeiautos zu.
“Seid ihr verletzt?”, fragte sie Oliver und Alexander.
“Alles in Ordnung”, sagte Alexander.
Sie nickte. Und damit fuhren sie zur Polizeistation, wo der Mann weiter verhört werden sollte. Nachdem Oliver die Personalien von Monica aufgenommen und ihre ganze Version der Geschichte festgehalten hatte, wurde sie für eine weitere Untersuchung ins Krankenhaus gebracht. Alexander salutierte dem Krankenwagen, als er die Ausfahrt des Weltraumhafens verließ. Er drehte sich um und sah Oliver mit einem breiten Grinsen an.
“Nun, ich hatte Recht. Der Typ ist am Steuer eingeschlafen”, sagte er und klopfte Oliver auf den Rücken. “Scheint so, als ob du mir fünf Runden Franzbrötchen schuldest, Kumpel!”
Verdammt noch mal! Dieser Tag konnte nicht mehr schlimmer werden. Doch gerade als Oliver die Tür öffnete, um sich wieder ins Auto zu setzen, hörte er ein Quietschen und dann ein Krachen. Er seufzte. Das würde ein langer Tag werden.
Diese Geschichte wurde aus dem Englischen von Helena Hartmann und der Autorin mithilfe von DeepL übersetzt.
Die Studie
Robb, D. & Barnes, T. (2018). Accident rates and the impact of daylight savings time transitions. Accident Analysis & Prevention, 111, 193–201. https://doi.org/10.1016/j.aap.2017.11.029
Die Verbindung zwischen Geschichte und Studie
In der Studie wurde untersucht, ob die Umstellung auf Sommerzeit und Winterzeit die Unfallraten beeinflusst. Die Autoren verglichen Straßenverkehrsunfälle, Arbeitsunfälle und Unfälle im Haushalt (einschließlich Stürze), die von der New Zealand Accident Compensation Corporation vom 1. Januar 2005 bis April 2014 registriert wurden. Sie fanden heraus, dass die Straßenverkehrsunfälle am Sonntag der Sommerzeitumstellung um 16% und am Montag danach um 12% im Vergleich zu normalen Tagen zunahmen. Auf die anderen Unfalltypen hatte die Sommerzeit jedoch keinen Einfluss. Bei der Umstellung auf die Winterzeit stellten die Autor:innen einen leichten Anstieg von Stürzen sowie von Unfällen im Haushalt und in der Gemeinde fest, aber keine Auswirkungen auf Arbeits- oder Straßenverkehrsunfälle. Die Wissenschaftler glauben, dass die Unfälle aufgrund des Schlafmangels und der daraus resultierenden geringeren Wachsamkeit, die Eile zur Arbeit und die geringere Menge an Umgebungslicht während des Pendelns zurückzuführen ist. Interessanterweise gab es in beiden Fällen einen so genannten Antizipationseffekt. Das bedeutet, dass die Zahl der Stürze, Heim- und Gemeindeunfälle in den Tagen vor der Zeitumstellung abnahm. Die Forscher vermuten, dass dies darauf zurückzuführen ist, dass die Menschen in Erwartung der Sommerzeit vorsichtiger sein könnten. Zum Beispiel könnten sie Freizeitaktivitäten auf die Woche danach verschieben.
Danksagung
Ich bedanke mich bei Dr. Divya Seernani für ihr Feedback zu der Geschichte und für das Sensitivity Reading.
Die Autorin
Sophie ist Kognitionswissenschaftlerin und Psychologin. Ihre Doktorarbeit hat sie am Lehrstuhl für Sozialpsychologie und Entscheidungswissenschaften an der Universität Konstanz beendet. Danach folgte eine Zeit als Postdoc am Fraunhofer Cluster of Excellence Integrierte Energiesysteme in der Dimension Wissenschaftskommunikation. Der Hauptfokus ihrer Arbeit war bisher die Erforschung der Wissenschaftskommunikation in der Energiewende, sowie von ästhetischen Beurteilungen und deren Zusammenhang mit Blickbewegungen. Neben ihrer akademischen Arbeit ist sie aktive Wissenschaftskommunikatorin und -illustratorin und stets bemüht ihr Wissen über verschiedene Kommunikationskanäle zu erweitern. Sophie hat ihr eigenes Projekt namens psychoSoph, für das sie Comics über Psychologie, Kognitions- und Neurowissenschaften zeichnet. Schaut euch sich die englische und deutsche Website dazu an.